Wien muss seinen langen Walzer mit Putin beenden

Wien muss seinen langen Walzer mit Putin beenden

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Nato-Kritiker in der Ukraine haben Deutschland zuletzt vorgeworfen, zu langsam und zaghaft auf die russische Aggression reagiert zu haben. Fair genug. Deutschland trägt als größte Volkswirtschaft der Europäischen Union eine unverhältnismäßige Verantwortung dafür, die westliche Reaktion auf die Gräueltaten und Lügen des Kreml zu koordinieren. Aber die Aufmerksamkeit, die Berlin geschenkt wird, verschleiert die nicht hilfreiche Rolle, die mehrere kleine europäische Länder spielen.

Am verwerflichsten ist natürlich Ungarn. Ihr Ministerpräsident Viktor Orban ist ein autoritärer Rechtspopulist, der seit langem mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin befreundet ist. Während Orban die bisher beschlossenen EU-Sanktionen akzeptierte, blockierte er Waffenlieferungen über Ungarn in die Ukraine und drohte mit einem Veto gegen ein EU-Öl- und Gasembargo. Orbáns Ungarn ist das schwächste Glied im Westen.

Um den Titel des Zweitschwächsten gibt es Konkurrenz, aber ein starker Anwärter ist Österreich. Es teilt nicht nur Sprache, Kultur und Geschichte mit seinem größeren nördlichen Nachbarn Deutschland, sondern auch ein Erbe pro-russischer Gefühle und herzlicher Beziehungen zu Moskau. Wenn Washington, Brüssel und Berlin den Westen geeint gegen Putin halten wollen, täten sie gut daran, sich zunächst auf Wien zu stützen, um sich für eine Seite zu entscheiden und diese bekannt zu machen.

Österreich war Teil des Dritten Reiches, das so viel Leid und Tod über Europa gebracht hat, einschließlich Russland und der Ukraine. Dennoch war die österreichische Politik nicht wie die deutsche primär von der Nachkriegssühne geprägt. Die Deutschen scherzen, dass die größte Errungenschaft ihrer südlichen Nachbarn darin bestand, die Welt davon zu überzeugen, dass Beethoven Österreicher und Hitlerdeutscher war. Vor allem gegenüber Moskau hatten die Österreicher schon immer weniger Komplexe.

Dennoch befanden sich Österreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst in ähnlichen Situationen. Beide wurden von den vier alliierten Siegermächten besetzt. Aber während der Eiserne Vorhang Deutschland durchquerte, umging er Österreich, weil die Sowjets den Sozialismus in ihrem Gebiet nicht durchsetzten. Das Land wurde 1955 unter der von Moskau auferlegten Bedingung, auf ewig neutral zu bleiben, wieder souverän. Bis heute ist Österreich kein NATO-Mitglied, ein Status, den es mit nur fünf anderen EU-Mitgliedern teilt.

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Unmittelbar nach der Unabhängigkeit übernahm Wien Österreichs Energieinfrastruktur von den Russen. Aus der sowjetischen Mineralölverwaltung wurde die heutige OMV AG, der Öl- und Gasgigant des Landes. 1968 unterzeichnete Österreich als erstes Land außerhalb des Eisernen Vorhangs einen Vertrag zur Beschaffung von Erdgas aus der Sowjetunion. Es ist zum Drehkreuz für russische Kohlenwasserstoffe geworden, die nach Westeuropa transportiert werden.

Gleichzeitig zog Wien wahrscheinlich die größte Konzentration von Spionen der Welt an, insbesondere sowjetische. Nach dem Kalten Krieg blieb es bei russischen Schnüfflern genauso beliebt. Es ist immer noch ein bevorzugter Ort für den Austausch von Spionen.

Die russischen Oligarchen besuchten auch Österreich – seine Geschäfte, malerischen Berge und entgegenkommende Bürokratie. Im Jahr 2020 wurden russische Investitionen im Land nur von deutschen Geldern übertroffen. Skigebiete wie Lech sind zu russischen Lieblingsorten geworden.

Österreichische Politiker im Ruhestand haben in russischen Unternehmen steile Karrieren hingelegt. Der frühere deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder ist zu Recht für seine Mitarbeit im Aufsichtsrat russischer Energieriesen bekannt. Aber auch ehemalige österreichische Bundeskanzler wie Wolfgang Schüssel und Christian Kern haben ähnliche Ämter bekleidet – obwohl sie im Gegensatz zu Schröder seit dem 24. Februar ihren Rücktritt eingereicht haben.

Schröders nächste Entsprechung in der österreichischen Politik ist unverschämterweise Karin Kneissl. Während sie 2018 als Außenministerin diente, lud sie Putin zu ihrer Hochzeit ein. Er tauchte mit einem Kosakenchor auf, stieß auf Deutsch perfekt an und tanzte mit der Braut. Kneissl verbeugte sich dann vor ihm zu Boden. Die Optik sagte alles. Bis heute bloggt sie für Russia Today, einen Arm von Putins Propagandamaschine, und sitzt im Vorstand (unter dem Vorsitz von Schröder) von Rosneft, Russlands Ölgiganten.

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2014, nur wenige Monate nach der Annexion der Krim durch Putin, hatte es einen weiteren qualvollen Moment gegeben, selbst für österreichische Verhältnisse. Während der Rest Europas Schwierigkeiten hatte, die Sanktionen zu koordinieren, kam Putin zu einem weiteren Besuch in Österreich vorbei.

In seiner Begrüßungsrede scherzte der ehemalige Vorsitzende der österreichischen Wirtschaftslobby darüber, wie oft er den russischen Präsidenten im Laufe der Jahre schon begrüßt habe, weil die beiden so lange im Amt seien. „Die Diktatur“, scherzte Putin und brachte das Haus zum Einsturz, bevor er hinzufügte: „Aber gute Diktatur.“ Die Heiterkeit fing von dort an. Der Redner erinnerte Putin auch daran, dass ein Jahrhundert zuvor ein Teil der Ukraine österreichisch war. „Was schlagen Sie vor?“, startete Putin unter dem Geheul der österreichischen Industriellen.

Dabei machte sich Österreich völlig abhängig von Putins Energie. Wo immer ein sibirisches Kohlenwasserstoff-Molekül in Europa auf die Reise ging, waren österreichisches Geld, Lobbyismus und Jubel nicht weit. Zum Beispiel wurde Nord Stream 2, eine geopolitisch katastrophale russische Gaspipeline durch die Ostsee, hauptsächlich den deutschen Regierungen angelastet, aber die OMV war auch ein großer Investor (obwohl sie ihre russischen Vermögenswerte abschreibt). Bereits heute stammen rund 80 % des österreichischen Gases aus Russland.

Allerdings hat die Brutalität von Putins aktuellem Krieg sogar Österreich aus seiner langen russophilen Romanze gerissen. Zumindest in diesem Sinne unterscheidet es sich von Ungarn. Letzten Monat traf Bundeskanzler Karl Nehammer als erster westlicher Staatschef seit dem 24. Februar Putin in Moskau. Sein Zugang zum einsiedlerischen Despoten war ein Vermächtnis der besonderen Beziehung ihrer Länder. Doch Nehammer stellte klar, dass „das kein Freundschaftsbesuch ist“.

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Und doch wird sich der Rest des Westens fragen, wie sehr er sich auf Österreich verlassen kann, wenn sich der Konflikt hinzieht oder eskaliert. Wird Wien einen Boykott von russischem Öl und Gas unterstützen? Wird es sich von seiner Neutralität verabschieden – wie es Schweden und Finnland tun werden – um sich auf die Seite des Westens zu stellen? Womöglich ist Orban für westliche Appelle an die Vernunft zu weit gegangen. Aber in Wien gibt es noch eine Chance.

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(Korrigiert im 12. Absatz die Identität des österreichischen Sprechers, der Putin im Jahr 2014 begrüßt. Im 13. Absatz werden die OMV-Bewegungen in Russland klargestellt.)

Diese Kolumne gibt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder von Bloomberg LP und ihren Eigentümern wieder.

Andreas Kluth ist Kolumnist für Bloomberg Opinion. Zuvor war er Redakteur des Handelsblatt Global und Autor für The Economist. Er ist der Autor von „Hannibal und ich“.

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