Während die Wirtschaft auf dieser Seite des Atlantiks schleppend ist, die Schulden weiter steigen und die Inflationswarnungen immer lauter werden, gewinnt der Euro international an Stärke. Wie kann das sein? Sind die Spekulanten verrückt?
Seit März beträgt die Wertsteigerung gegenüber dem Dollar rund 20 Prozent. Im Vergleich zu allen Handelspartnern ist der Euro im Durchschnitt um mehr als zehn Prozent teurer geworden. Und gegenüber dem US-Dollar hat die gemeinsame Währung am vergangenen Donnerstag als EZB-Chef aufgewertet Christine Lagarde Erklärte der Presse die jüngsten Entscheidungen des Zentralbankrates. Der Aufwärtstrend setzt sich somit fort.
In der folgenden Woche, am Mittwoch, wird die US-Notenbank über eine weitere Geldpolitik entscheiden. Es ist nicht auszuschließen, dass der Euro gegenüber dem Dollar noch stärker wird.
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Institut für Journalismus, TU Dortmund
Henrik Müller ist Professor für Wirtschaftsjournalismus an der Technischen Universität Dortmund. Zuvor war der Diplom-Ökonom als stellvertretender Chefredakteur des Manager-Magazins tätig. Darüber hinaus ist Müller Autor zahlreicher Bücher zu Wirtschafts- und Währungsfragen. Jede Woche gibt er einen deutlichen Ausblick auf die wichtigsten wirtschaftlichen Ereignisse der Woche für SPIEGEL.
Drei Faktoren spielen eine Rolle für die Stärke des Euro:
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Bei den Wechselkursen geht es nicht um die absolute Einschätzung der wirtschaftlichen Situation einer Volkswirtschaft. Vielmehr gilt das Prinzip der relativen Katastrophe.
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Das USA sind offenbar anfälliger für Inflation als das Euro-Währungsgebiet.
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Je weiter Sie gehen Europa weg, je besser wir aussehen.
Das Prinzip der relativen Katastrophe
Wechselkurse sind relative Preise. Wenn eine Währung an Wert gewinnt, bedeutet dies nicht unbedingt, dass der betreffende Wirtschaftsraum gut ist, sondern nur, dass Investoren und Spekulanten glauben, dass sie dort bessere Renditen erzielen können als anderswo. Dollar, Pfund und Yen werden gegen Euro eingetauscht, die Nachfrage steigt ebenso wie der Preis – es gibt eine Aufwertung.
Es geht nicht nur um aktuelle Entwicklungen, sondern auch um Erwartungen für die Zukunft: Wie werden sich Wachstum, Inflation, politische und soziale Stabilität in den kommenden Jahren voraussichtlich entwickeln?
Die aktuelle Situation in Europa ist alles andere als brillant. Im Corona-Jahr 2020 wird die Wirtschaftsleistung in der Eurozone sinken OECD– Prognosen gehen von 7,5 Prozent zurück. Angesichts der erneuten Pandemiewelle bleiben die Aussichten trübe: In den Jahren 2021 und 2022 dürfte der Aufwärtstrend nur langsam sein.
In den USA hingegen entwickelt sich die Wirtschaft deutlich besser. Die Wirtschaft wird nur halb so stark schrumpfen wie diese Seite des Atlantiks (was für einen stärkeren Dollar spricht). Dies erhöht jedoch auch das Inflationsrisiko (was zu einem schwächeren Dollar führen würde).
Die Glocken läuten nicht lauter …
Von der Inflation in den USA ist derzeit wenig zu sehen. In der Eurozone sind die Werte jedoch noch niedriger. Die Prognosen für die kommenden Jahre gehen davon aus, dass die Verbraucherpreise in den USA etwas schneller steigen werden. Nach gängigen Vorhersagen in fünf Jahren Die Inflation in der Eurozone beträgt 1,7 Prozent, in den USA 1,9 Prozent.
Nichts davon wäre dramatisch. Es kann aber auch ganz anders ausgehen.
Nach der Koronakrise könnte die Inflation außer Kontrolle geraten. Wir haben dies an dieser Stelle im Frühjahr besprochen. Mein damaliges Argument:
Drei Trends – die De-Globalisierung, die zunehmende Konzentration in vielen Märkten und die sinkende Zahl von Menschen im erwerbsfähigen Alter – werden durch die Pandemie verschärft. Und alle drei arbeiten in die gleiche Richtung: Der gesamtwirtschaftliche Wachstumspfad flacht ab, und der Spielraum für Preis-, Lohn- und Kostensteigerungen nimmt zu. Wenn diese veränderten Angebotsbedingungen durch eine künstlich stimulierte Nachfrage erfüllt werden, kann dies eine Inflationsdynamik auslösen, ähnlich der in den 1970er Jahren.
Nach der Koronakrise wird es daher wichtig sein, entschlossen gegen Inflationsrisiken vorzugehen. Die staatliche Geldschwemme, die derzeit zu Recht über die Märkte strömt, um ein Abrutschen in eine schlimme Depression zu verhindern, kann einen bisher unvorstellbaren Preisdruck in der neuen Normalität der Post-Corona-Welt auslösen.
Diese Warnungen erreichen jetzt den Mainstream. In seiner Titelgeschichte in dieser Woche spricht das Economist-Magazin von einer Rückkehr der Inflation. Vor allem in den USA läuten die Alarmglocken: Bill Dudley, ehemaliger Vizepräsident des geldpolitischen Rates der Fed, führte Anfang Dezember fünf Gründe an warum sollte man sich „Sorgen über eine höhere US-Inflation machen“ – Er erwähnt unter anderem die neue Strategie der US-Notenbank und ein verändertes allgemeines Wirtschaftsklima.
Geld mit beiden Händen ausgeben
Vor ein paar Monaten Die Fed hat eine neue geldpolitische Strategie angekündigt. In Zukunft will die US-Notenbank die Inflation laufen lassen, auch wenn sie für eine Weile die Zielrate von zwei Prozent überschreitet. Dudley erkennt auch eine Verschiebung der „fiskalischen Orthodoxie“ an: Ökonomen sorgen sich nicht mehr so sehr um die schreckliche Staatsverschuldung; Sie betonten vielmehr die Notwendigkeit, alles für die öffentlichen Ausgaben zu tun.
In die gleiche Richtung gehen die bereits von der nächsten US-Regierung angekündigten massiven Ausgabenprogramme unter Joe Biden. Angesichts der starken Position der Republikaner im Kongress werden Steuererhöhungen für die Gegenfinanzierung kaum durchsetzbar sein. Die Kombination aus lockerer Geldpolitik und lockerer Fiskalpolitik könnte eine neue Ära der Inflation einleiten, insbesondere wenn sie auf veränderte Wirtschaftsstrukturen stößt.
All dies belastet den Dollar. Auch wenn sich die USA wirtschaftlich recht dynamisch entwickeln sollten, scheint die institutionelle Struktur langfristig geschwächt zu sein. Die Trump-Ära und tiefe soziale Spaltungen machen die USA weniger widerstandsfähig gegen Inflationsschübe.
Auf dieser Seite des Atlantiks befinden wir uns in der entgegengesetzten Position: Die Wirtschaft ist schwach, aber die europäischen Institutionen sind überraschend stark – was wiederum dem Euro einen Schub gibt.
Die Wirtschaft kann scheitern; Die OECD geht davon aus, dass viele Euro-Länder bis Ende nächsten Jahres unter ihrem Vorkrisenniveau bleiben werden, einschließlich Italien, Spanien, Portugal und Griechenland. Aber die EU und die Eurozone entwickeln sich trotz aller Widrigkeiten politisch und schneller als vor einigen Jahren gedacht.
Einige aktuelle Höhepunkte: Die EU hat einen XXL-Haushalt beschlossen, einschließlich einer verstärkten gemeinsamen Kreditaufnahme. Ungarn und Polen am Ende haben stimmte dem neuen Rechtsstaatlichkeitsmechanismus zu. Die Bankenunion wird weiter ausgebaut, Mit dem Euro-Rettungsfonds ESM können nun auch angeschlagene Banken abgewickelt werden. Großbritannien verlässt den Inlandsmarkt zum Jahreswechsel, aber der Rest der EU hält zusammen.
Nichts davon ist perfekt oder perfekt. Und doch: Ein Auseinanderbrechen der Eurozone und der EU insgesamt, das vor einigen Jahren ein realistisches Risiko darstellte, ist unwahrscheinlich. Von innen mag die EU von Streit und Zwietracht geplagt sein – von außen sieht sie derzeit jedoch vergleichsweise einig aus. In der größten Krise seit Generationen zeigt sich Europa handlungsfähig.
Zwischen 1970 und 1980 verdoppelte sich der Wert der D-Mark gegenüber dem Dollar
Dann gibt es die Rolle der Zentralbank: Sollten die Inflationsraten tatsächlich steigen, hat die EZB ein klares Mandat zur Gewährleistung der Preisstabilität. Im Gegensatz zur Fed, die gesetzlich verpflichtet ist, stabile Preise und ein hohes Beschäftigungsniveau zu gewährleisten, muss die EZB laut EU-Vertrag in erster Linie für Preisstabilität sorgen. Alle anderen Ziele müssen in den Hintergrund treten.
Richtig: Wenn die Inflation anzieht, befindet sich auch die EZB in einer unangenehmen Lage. Höhere Zinssätze und ein Ende der Anleihekäufe werden hoch verschuldete Staaten an den Rand des Bankrotts bringen. Der politische Druck wird entsprechend groß sein, um die Preisstabilität nicht zu streng zu halten. Genau genommen darf sie dies jedoch nicht berücksichtigen.
Die Erfahrung der 1970er Jahre zeigt, welche Auswirkungen unterschiedliche Währungsverfassungen auf den Wechselkurs haben können. Zu dieser Zeit galoppierte die Inflation in den USA weg, während in Deutschland das Bundesbank zog die Zügel fest. Mit dem Ergebnis, dass die D-Mark massiv zulegte: Zwischen 1970 und 1980 verdoppelte sich ihr Wert gegenüber dem Dollar.
Sicher, die Geschichte wiederholt sich nicht. Aber gelegentlich präsentiert sie uns Muster – zur Erinnerung und zur Nachahmung.
Die wichtigsten wirtschaftlichen Ereignisse der kommenden Woche
Eine solche – Das Stimmung im Fernen Osten: Die Bank of Japan präsentiert ihre Tankan-Umfrage zum Zustand und zur Stimmung der Wirtschaft im Land.
Hamburg – Schwieriges Gleichgewicht ich: Die norddeutsche Tarifverhandlungsrunde beginnt in der Metall- und Elektroindustrie. Der Kompromiss zwischen Lohnerhöhungen und Arbeitsplatzsicherheit wird nicht einfach sein.
Berlin – Nach Mama: Die drei Kandidaten für den Parteivorsitz der CDU – Merz, Röttgen, Laschet – beantworten online Fragen von Parteimitgliedern.
Brüssel – Neue Regeln: Die EU-Kommission legt Legislativvorschläge für digitale Dienste und für digitale Märkte vor. Es geht darum, die Marktmacht von multinationalen Technologieunternehmen wie Amazon und Google einzudämmen.
Peking – China im November: Chinas Statistikbüro veröffentlicht im November neue Daten zur Entwicklung der Wirtschaft.
Washington – Alle Augen auf Jay: Die US-Notenbank beschließt weitere Geldpolitik. Nachdem der Gouverneursrat um Jerome Powell kürzlich eine neue Strategie angekündigt hat, ist mit einer weiteren Entspannung für den Corona-Winter zu rechnen.
Stuttgart – Schwieriges Gleichgewicht II: Beginn der Tarifverhandlungen für die Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg.
Luxemburg – Preise im November: Die EU-Statistikagentur Eurostat veröffentlicht Einzelheiten zur Inflation in Europa.
Washington – Wintertief: Neue Zahlen zu Erstanträgen auf Arbeitslosenunterstützung in den USA.
München – Stimmungskiller: Das Ifo-Institut veröffentlicht den monatlichen Geschäftsklimaindex.
Eine solche – Untergehende Sonne: Japans Zentralbank beschließt weitere Geldpolitik.
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