Die Europäische Union hat kürzlich ihre Europäische Qualifikationsagenda vorgestellt, ein ehrgeiziges Programm, das sowohl auf die Verbesserung der Qualifikationen als auch auf die Umschulung der Arbeitskräfte des Blocks abzielt. Das Recht auf lebenslanges Lernen, das in der europäischen Säule sozialer Rechte verankert ist, hat nach der Coronavirus-Pandemie eine neue Bedeutung erlangt. Der für Beschäftigung und soziale Rechte zuständige Kommissar Nicolas Schmit erklärte: „Die Qualifizierung unserer Arbeitskräfte ist eine unserer zentralen Antworten auf den Aufschwung und bietet den Menschen die Möglichkeit, Fähigkeiten zu entwickeln. Übergänge“.
Zwar hat der europäische Block mit seinen Umweltinitiativen – insbesondere dem Kernstück der Von-der-Leyen-Kommission, dem European Green Deal – schon oft Schlagzeilen gemacht, hat die Digitalisierung jedoch etwas an den Rand des Scheiterns geraten. Einer Schätzung zufolge nutzt Europa nur 12 % seines digitalen Potenzials. Um diesen vernachlässigten Bereich zu erschließen, muss die EU zunächst digitale Ungleichheiten in den 27 Mitgliedstaaten des Blocks bekämpfen.
Der Digital Economy and Society Index 2020 (DESI), eine jährliche zusammengesetzte Bewertung, die Europas digitale Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit zusammenfasst, unterstützt diese Behauptung. Der neueste DESI-Bericht, der im Juni veröffentlicht wurde, illustriert die Ungleichgewichte, die die EU vor einer digitalen Flickenteppich-Zukunft zurückgelassen haben. Die eklatanten Unterschiede, die die DESI-Daten aufdecken – Kluften zwischen einem Mitgliedstaat und einem anderen, zwischen ländlichen und städtischen Gebieten, zwischen kleinen und großen Unternehmen oder zwischen Männern und Frauen – machen sehr deutlich, dass Teile der EU zwar auf den nächsten vorbereitet sind Technologiegeneration, andere hinken weit hinterher.
Eine klaffende digitale Kluft?
DESI bewertet fünf Hauptkomponenten der Digitalisierung: Konnektivität, Humankapital, Einführung von Internetdiensten, Integration digitaler Technologien durch Unternehmen und Verfügbarkeit digitaler öffentlicher Dienste. Durch diese fünf Kategorien öffnet sich eine offensichtliche Kluft zwischen den Ländern mit der besten Leistung und den Ländern, die am Ende der Rangliste schmachten. Finnland, Malta, Irland und die Niederlande ragen als Stars mit extrem fortgeschrittenen digitalen Volkswirtschaften heraus, während Italien, Rumänien, Griechenland und Bulgarien noch einen langen Weg vor sich haben.
Dieses Gesamtbild einer wachsenden Digitalisierungslücke wird durch die ausführlichen Abschnitte des Berichts zu jeder dieser fünf Kategorien untermauert. Aspekte wie Breitbandabdeckung, Internetgeschwindigkeiten und Zugangsmöglichkeiten der nächsten Generation sind beispielsweise für die persönliche und geschäftliche digitale Nutzung unerlässlich. Dennoch hinken Teile Europas in all diesen Bereichen hinterher.
Sehr unterschiedlicher Zugang zu Breitband
Die Breitbandversorgung in ländlichen Gebieten stellt nach wie vor eine besondere Herausforderung dar: 10 % der Haushalte in europäischen ländlichen Gebieten werden immer noch nicht von einem Festnetz versorgt, während 41 % der ländlichen Haushalte nicht von Zugangstechnologien der nächsten Generation versorgt werden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass im Vergleich zu ihren Landsleuten in den Großstädten deutlich weniger Europäer in ländlichen Gebieten über die notwendigen digitalen Grundkompetenzen verfügen.
Diese Verbindungslücken in ländlichen Gebieten sind zwar besorgniserregend, insbesondere angesichts der Bedeutung digitaler Lösungen wie der Präzisionslandwirtschaft für die nachhaltigere Gestaltung des europäischen Agrarsektors, doch beschränken sich die Probleme nicht auf ländliche Gebiete. Die EU hatte sich zum Ziel gesetzt, dass bis Ende 2020 mindestens 50 % der Haushalte über superschnelle Breitbandabonnements (100 Mbit/s oder mehr) verfügen. Laut DESI 2020-Index liegt die EU jedoch deutlich unter dem Ziel: nur 26 % der europäischen Haushalte haben solche Breitbanddienste abonniert. Dies ist eher ein Problem der Akzeptanz als der Infrastruktur: 66,5% der europäischen Haushalte werden von einem Netz versorgt, das mindestens 100 Mbit/s Highspeed bereitstellen kann.
Wieder einmal gibt es eine krasse Divergenz zwischen den Spitzenreitern und den Nachzüglern im digitalen Wettlauf des Kontinents. In Schweden abonnieren mehr als 60 % der Haushalte ultraschnelles Breitband, während in Griechenland, Zypern und Kroatien weniger als 10 % der Haushalte über einen solchen schnellen Dienst verfügen.
KMU hinken hinterher
Eine ähnliche Geschichte plagt Europas kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die 99 % aller Unternehmen in der EU ausmachen. Nur 17 % dieser Unternehmen nutzen Cloud-Dienste und nur 12 % nutzen Big Data Analytics. Bei einer so geringen Akzeptanz dieser wichtigen digitalen Tools besteht die Gefahr, dass europäische KMU nicht nur hinter Unternehmen in anderen Ländern zurückfallen: 74 % der KMU in Singapur identifizierten beispielsweise Cloud Computing als eine der Investitionen mit den größten messbaren Auswirkungen auf ihre Aktivitäten, verliert aber gegenüber großen europäischen Unternehmen an Boden.
Große Unternehmen stellen KMU bei der Integration digitaler Technologien massiv in den Schatten: Etwa 38,5% der Großunternehmen profitieren bereits von den Vorteilen fortschrittlicher Cloud-Dienste, während 32,7% auf Big Data-Analysen angewiesen sind. Angesichts der Tatsache, dass KMU als Rückgrat der europäischen Wirtschaft gelten, ist ein erfolgreicher digitaler Wandel in Europa ohne eine Beschleunigung der Kleinunternehmen nicht vorstellbar.
Die digitale Kluft zwischen den Bürgern
Auch wenn es Europa gelingt, diese Lücken in der digitalen Infrastruktur zu schließen, bedeutet das wenig
ohne das Humankapital, um es zu unterstützen. Etwa 61 % der Europäer verfügen zumindest über grundlegende digitale Fähigkeiten, obwohl diese Zahl in einigen Mitgliedstaaten auf ein alarmierendes Niveau sinkt – in Bulgarien beispielsweise verfügen kaum 31 % der Bürger über die grundlegendsten Softwarekenntnisse.
Noch schwieriger wird es für die EU, ihre Bürgerinnen und Bürger mit den oben genannten Grundkompetenzen auszustatten, die zunehmend zur Voraussetzung für vielfältige berufliche Funktionen werden. Derzeit verfügen nur 33 % der Europäer über fortgeschrittene digitale Fähigkeiten. Auf der anderen Seite machen die Spezialisten für Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) nur magere 3,4 % der gesamten EU-Belegschaft aus, und nur 1 von 6 sind Frauen. Es überrascht nicht, dass dies für KMU, die Schwierigkeiten haben, diese stark nachgefragten Spezialisten zu rekrutieren, Schwierigkeiten bereitet hat. Rund 80 % der Unternehmen in Rumänien und Tschechien berichten von Schwierigkeiten bei der Besetzung von IKT-Fachkräften, ein Problem, das die digitale Transformation in diesen Ländern zweifellos verlangsamen wird.
Der neueste DESI-Bericht hebt die extremen Disparitäten hervor, die die digitale Zukunft Europas weiterhin behindern werden, bis sie gelöst sind. Die Europäische Qualifikationsstrategie und andere Programme zur Vorbereitung der EU auf ihre digitale Entwicklung sind begrüßenswerte Schritte in die richtige Richtung, aber die europäischen politischen Entscheidungsträger sollten eine umfassende Agenda aufstellen, um den gesamten Block auf den neuesten Stand zu bringen. Dazu haben sie auch die perfekte Gelegenheit: den 750-Milliarden-Euro-Konjunkturfonds, der dem europäischen Block nach der Coronavirus-Pandemie helfen soll, wieder auf die Beine zu kommen. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hat bereits betont, dass diese beispiellose Investition Vorkehrungen für die Digitalisierung Europas beinhalten muss: Der DESI-Bericht machte deutlich, welche digitalen Lücken zuerst geschlossen werden müssen.
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