SPIEGEL: Herr Teismann, die Kombination aus Novemberwetter und alltäglicher Abschaltung lässt viele Menschen in düstere Gedanken versinken. Psychologen beschreiben das Grübeln oft als gefährlich. Was genau brütet?
Teismann: Ich bemerke, dass ich grübele, wenn sich mein Denken in Schleifen wiederholt. In der Fachsprache sprechen wir von Wiederkäuen – Latein für Wiederkäuer. Das Denken dreht sich für immer um dieselben Themen, und brütende Menschen beschreiben es als unproduktiv: Sie können keine Lösung finden. Trotzdem fällt es den Menschen schwer, sich davon zu lösen und über andere Dinge nachzudenken. Phänomenologisch kann man sagen, dass das Brüten vergangenheitsorientiert oder mit der Gegenwart verbunden ist. Dies markiert den Hauptunterschied zur Sorge, der normalerweise auf die Zukunft gerichtet ist und sich fragt: Was kommt? In der Realität vermischen sich die beiden jedoch oft.
SPIEGEL: Früher dachte ich, dass Denken immer gut ist? Wie unterscheidet sich das Grübeln vom Denken?
Teismann: Es gibt eine kühne Zwei-Minuten-Regel in der Psychologie: Wenn ich zwei Minuten lang über ein Problem nachdenke und mich keiner Lösung oder Erkenntnis nähere, besteht eine gute Chance, dass ich auf dem Weg zu einem solchen Brutprozess bin, aus dem die Betroffenen oft erst nach Minuten oder Stunden hervorgehen, ohne es zu haben machte weitere Fortschritte. Das Kreisen in Gedankenschleifen ist weniger produktiv, oft sogar quälend. Hilfreiche Gedanken versuchen dagegen, ein Problem zu lösen. Der Ton ist neutral, während das Grübeln einen kritisch-wertenden Ton annimmt: Warum bin ich so ein Versager? Warum liebt mich niemand? Wenn ich denke, gerate ich nicht in eine solche Abwertung meiner selbst, aber vor allem mein Denken führt zu Handlungen.
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