Hmmm … kein Fleisch!
Die Nachfrage nach fleischfreien Leckereien wächst: Der Wursthersteller Rügenwalder Mühle hat in den letzten Monaten einen Umsatzanstieg von bis zu 100 Prozent für seine fleischfreien Alternativprodukte gemeldet!
Vorbei sind die Zeiten, in denen fleischlose Esser im Supermarkt nach leckeren Angeboten suchen mussten. Alle großen deutschen Einzelhandelsketten haben inzwischen Vegetarier und Veganer als Kunden entdeckt. Insbesondere während der Corona-Krise hat der Absatz von vegetarischen und veganen Lebensmitteln als Alternative zu Fleisch erheblich zugenommen – Marktbeobachter sehen einen Durchbruch aus der Nische.
Vegetarisches Fleisch überholt die klassische Wurst
Im Juli überschritt das Traditionsunternehmen Rügenwalder Mühle eine historische Schwelle. Zum ersten Mal in seiner 186-jährigen Geschichte erzielt der Wursthersteller mit vegetarischen und veganen Fleischalternativen mehr Umsatz als mit traditionellen Aufschnitt- oder Teewürsten. Das Familienunternehmen aus Bad Zwischenahn (Niedersachsen) begann erst 2014 mit der Produktion von vegetarischem Fleisch und Würstchen.
Die Nachfrage nach vegetarischem Fleisch ist so stark gestiegen, dass die Rügenwalder Mühle an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen ist. „In diesem Jahr konnten wir fast alle Bestellungen ausliefern, aber unsere Maschinen reichen für weiteres Wachstum einfach nicht aus“, sagte CEO Michael Hähnel kürzlich gegenüber dem Handelsblatt.
Der Hersteller Wiesenhof gibt auch an, dass der Markt für vegetarische und vegane Produkte in diesem Jahr außergewöhnlich gut wächst. „Der Bruzzler-Veggie zum Beispiel liegt mit einem Umsatzwachstum von mehr als 44 Prozent deutlich über dem Vorjahr“, sagte eine Sprecherin. Auch das Schweizer Lebensmittelunternehmen Nestlé steigerte im ersten Halbjahr 2020 den Absatz pflanzlicher Produkte um 40 Prozent.
Fleischlose Burger oder vegane Würste sind keine Nischenprodukte mehr, sondern haben die Masse der Verbraucher erreicht.
Auch Nichtvegetarier reduzieren ihren Fleischkonsum
Der Boom bei pflanzlichen Lebensmitteln ist aus mehreren Gründen wahrscheinlich. Die Klimadebatte spielt eine Rolle, ebenso wie die jüngste Diskussion über die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, sagt Christian Vagedes von der Vegan Society Germany. Und weiter: „Fleisch und andere Produkte der Massentierhaltung sind umweltschädlich. Mit 18 Prozent ist dies deutlich mehr als der gesamte Straßen- und Flugverkehr. Die Corona-Krise hat auch zum Nachdenken angeregt, sagt Alex Grömminger, Sprecher des ProVeg-Verbandes. Grömminger: „Es gibt jetzt einen unbestreitbaren Zusammenhang zwischen unserem Nahrungsmittelsystem und dem Risiko von Pandemien, wie wir sie derzeit erleben.“
Mehr als ein Drittel der deutschen Haushalte verstehen sich laut Marktforschungsinstitut GfK als Flexitarier. Mit anderen Worten: Sie sind überwiegend Vegetarier, essen aber gelegentlich auch hochwertiges Fleisch aus biologischem Anbau. Und: Insbesondere jüngere Verbraucher kaufen heute weit mehr vegetarische und vegane Produkte als noch vor einigen Jahren.
Pflanzliche Milchprodukte stehen im Vordergrund
Der größte Markt in Deutschland waren bisher pflanzliche Milchalternativen, sagt Grömminger von ProVeg. Es wird auf rund 10 Prozent geschätzt, mit einem starken Aufwärtstrend. Der Marktanteil von Gemüsewurst- und Fleischalternativen ist noch geringer. „In den kommenden Jahren wird dieser Markt mit zweistelligen Wachstumsraten im mittleren Bereich weiterhin stark wachsen“, schätzt Grömminger.
Soja aus Deutschland
Studien gehen davon aus, dass 10 bis 40 Prozent der tierischen Produkte durch alternative Proteinquellen ersetzt werden können. Pflanzen sind DIE Proteinquelle.
Aus Sicht der Association for Alternative Protein Sources (BalPro), einer Interessengruppe von rund 70 Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie, muss nun auch die Politik den Kurs bestimmen. Es ist wünschenswert, dass die Wertschöpfungskette so weit wie möglich regionalisiert wird, sagt BalPro-Vorstandsmitglied Sebastian Biedermann. „Hier müssen wir auch den Anbau von Eiweißpflanzen ermöglichen, damit alles effizient und ökologisch möglich ist.“ So spielt beispielsweise der Sojaanbau in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle.
Rügenwalder Mühle will beim Sojaanbau zunehmend auf regionale Produktion setzen. Seit diesem Frühjahr baut das Unternehmen mit einem Partner in Deutschland ein eigenes Soja an. Nach der Ernte im September wird es raffiniert und zu vegetarischen und veganen Produkten verarbeitet. Wenn der Pilot erfolgreich ist, ist es das Ziel, im kommenden Jahr zehn Prozent des Sojabedarfs aus der heimischen Produktion zu decken und diesen Anteil kontinuierlich zu erhöhen.
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