Liam Hoare ist Europa-Redakteur des Magazins Moment und Autor des Newsletters „The Vienna Briefing“ über österreichische Politik und Kultur.
WIEN – Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer ist knapp ein Jahr im Amt und kämpft bereits um sein politisches Leben.
Am 1. August erschienen zwei Geschichten gleichzeitig in den beiden auflagenstarken Gratiszeitungen Österreichs, Heute und Österreichunter Berufung auf hochrangige Funktionäre seiner Volkspartei (ÖVP) und beschreibt ihren „geheimen Plan“ um den ehemaligen Innenminister zu entfenstern.
Nur wenige Wochen nachdem er Kanzler geworden war, hatte sich Nehammer mit der Invasion der Ukraine und ihren Auswirkungen auf sein Land abgefunden, das stark von russischen fossilen Brennstoffen abhängig ist. Seine Bewältigung der daraus resultierenden Energie- und Lebenshaltungskrisen war richtungslos und ineffektiv, mit der Inflationsrate erreicht seine höchsten Niveaus seit März 1975. Und er hat auch nicht benutzt, scherzen auf einem kürzlichen Parteitag, wenn die ÖVP die Inflation nicht unter Kontrolle bekomme, bleiben ihr nur zwei Möglichkeiten: „Alkohol oder Psychopharmaka“.
Bundesweit sinken die Umfragewerte der Parteien, und Nehammer ist jetzt der unbeliebteste Regierungschef in der Welt. Wenn morgen Wahlen abgehalten würden, seine Partei würde wahrscheinlich Dritter werden, hinter den Sozialdemokraten (SPÖ) und der rechtsextremen Freiheitlichen Partei (FPÖ). Das ist natürlich schon schlimm genug, aber was hochrangige Parteikreise wirklich irritiert, ist der Sickereffekt auf nationaler und lokaler Ebene, da sich die ÖVP inmitten einer größeren internen Krise befindet.
Im kommenden September steht die Partei vor einem entscheidenden Wahltest in Tirol, einem Kernland der ÖVP, wo die Partei unter normalen Umständen mit mindestens 40 % der Stimmen rechnen würde. Diesmal jedoch Abstimmung notiert er wird glücklich sein, 30 Prozent zu erreichen.
Was wäre, wenn Nehammer nach dieser Tiroler Abstimmung entthront würde, aber bevor Anfang 2023 in den Bundesländern Niederösterreich und Salzburg ähnliche kritische Wahltests stattfinden – obwohl sein Lager es getan hat gefeuert diese Idee als dumme Spekulation – sein Nachfolger würde dann in nur 12 Monaten Österreichs vierter Bundeskanzler werden.
Altkanzler Sebastian Kurz war im Oktober 2021 zurückgetreten, inmitten eines Korruptionsskandals, bei dem Staatsanwälte das Bundeskanzleramt durchsuchten. Sein Nachfolger, Alexander Schallenberg, hielt dann weniger als zwei Monate durch und konnte die Unterstützung der Parteigouverneure nicht gewinnen. Nehammer war ihre Wahl – und jetzt haben sie Kaufreue.
Auf der einen Seite ist die interne Krise der ÖVP einfach symptomatisch für eine Partei, die seit 1986 als Koalitionspartner oder Koalitionspartner an der Regierung ist.
Die zeitgenössische ÖVP ist wie ein Geisterschiff, das nonchalant durch die Nacht treibt. Statt einer politischen Gesamtvision a Zweck, seine Politik ist nichts als Klientelismus – Steuer- und Ausgabenpolitik, die sich an wichtige Wählergruppen wie Bauern, Kleinunternehmer und Familien der Mittelklasse richtet. Unterdessen sind seine Korruptionsskandale – insbesondere die „Werbegeschäftwo öffentliche Gelder verwendet wurden, um Pro-Kurz-sexistische Meinungsumfragen zu bezahlen, stammten laut Ermittlern aus Abteilungen wie dem Finanzministerium, die seit langem von der ÖVP abhängig sind.
Doch die derzeitige missliche Lage der Partei scheint noch tiefer zu gehen. Die ÖVP steckt in einer existenziellen Krise, deren Wurzeln Jahrzehnte zurückreichen und tektonische Verschiebungen in der österreichischen Wahlpolitik widerspiegeln.
In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg war das Land politisch und wirtschaftlich zwischen SPÖ und ÖVP gespalten. Die beiden regierten zwei Jahrzehnte lang in einer großen Koalition und erzielten regelmäßig zwischen 85 und 90 Prozent der Stimmen. Dann begannen sich die Dinge zu ändern.
Zunächst erreichte die ÖVP 1966 die absolute Mehrheit. Dann regierte die SPÖ von 1971 bis 1983 allein, eine Zeit niedriger Arbeitslosigkeit und sozialer Liberalisierung, in der sich Österreich unter der Führung von Bruno Kreisky international durchsetzte. Das hielt jedoch nicht an.
Der Verlust der absoluten Mehrheit durch die SPÖ gab der ÖVP einen Vorgeschmack auf die Zukunft. Der Stimmenanteil der Sozialdemokraten fiel von 51,03 % im Jahr 1979 auf 21,18 % 40 Jahre später, als ihre breite Wahlkoalition durch zwei aufstrebende politische Kräfte getrennt wurde: die grüne Bewegung in den 1980er Jahren und die extreme Rechte in den 1990er Jahren. die Bande, die das städtische liberale Bürgertum mit der verkleinerten Arbeiterklasse Österreichs verbanden, lockerten sich zunehmend. Und heute scheint ihr Interesse an Themen, von Einwanderung und Menschenrechten bis hin zur Umwelt, weitgehend unvereinbar.
Auch wenn die ÖVP im gleichen Zeitraum einen ähnlichen Niedergang erlebte und bei der Bundestagswahl 2013 nur noch 23,99 % der Stimmen erhielt, führte dies schließlich zu zwei KO-Wahlsiegen, als Sebastian Kurz 2017 endgültig die Parteiführung übernahm. Es war fast so, als hätte er ein Erfolgsrezept gefunden, indem er Einwanderung als Thema nutzte, um rechtsextreme Wähler anzuziehen.
Rückblickend waren diese Siege jedoch eher eine falsche Hoffnung. Am einen Ende des Spektrums gehört diese harte Linie der Einwanderung zu den Faktoren, die den liberalen Flügel der ÖVP in die Arme der Partei Neues Österreich und Liberales Forum (NEOS) gedrängt haben. Und am anderen Ende, nachdem Kurz nun weg war, drifteten die rechtsextremen Wähler der Partei langsam zurück in ihre natürliche Heimat in der FPÖ.
Österreich war in vielerlei Hinsicht ein Vorreiter, ein Vorgeschmack auf die Fragmentierung und Neuordnung der Wahlpolitik in Frankreich und Deutschland in den letzten Jahren. Es markierte den Tod der Zwei-Parteien-Politik und Parteizugehörigkeit auf der Grundlage von Klasse, Alter und Beruf und begrüßte das Aufkommen neuer politischer Kräfte der Linken, der Mitte und der extremen Rechten.
Österreich hat sich in den letzten 40 Jahren von einem Zweiparteien- zu einem Fünfparteiensystem entwickelt, während Parteien wie die regierten Ampel linksliberal-grüne Koalition, die einst undenkbar und unhandlich schien, scheint nun plausibel und wünschenswert an Wähler.
Und im Zentrum der Existenzkrise der ÖVP steht die entscheidende Erkenntnis, dass die Ära der Volkspartei – der politischen Partei als breite Kirche – ist nun endgültig vorbei,
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