„Deutscher Atomausstieg wurde beschleunigt“: Ex-Atomgegner will Klimakollaps mit Atomkrafttrick verhindern
Sonntag, 20.09.2020, 7:12 Uhr
Die Kernenergie gilt seit langem als das ultimative schöne Bild der Umweltbewegung. Jetzt sagen sogenannte „Öko-Modernisten“: Mit dem Auslaufen der Kernenergie in Deutschland kommen Sie mehr von den Klimazielen weg als dorthin. Ein Wissenschaftler und ehemaliger Atomgegner erklärt, warum ein Klimakollaps nur mit Kernkraftwerken verhindert werden kann.
Wenn Sie an Umweltschutz und Klimawandel denken, denken Sie normalerweise an Solarzellen, Windkraftanlagen oder Greta Thunberg. Mit Protesten, politischen Gesprächen und anderen Aktionen erinnern uns die Klimabewegungen weiterhin daran, dass wir die globale Erwärmung stoppen müssen, um nicht in eine höllisch heiße Zeit zu geraten. Die wahrscheinlich beliebteste Lösung für das Problem: die Ausweitung der regenerativen Energie zugunsten von Kohle- oder Kernkraftwerken. Die Kernenergie gilt seit langem als das ultimative schöne Bild der Umweltbewegung.
Das könnte sich bei den sogenannten „Öko-Modernisten“ ändern. Sie betrachten Industrialisierung, Globalisierung und Modernisierung als untrennbare Elemente des Klimaschutzes. Sie werden also keine „Atomkraft, nein danke“ -Aufkleber auf ihren Autos finden. Stattdessen sind sich die Befürworter der neuen Umweltbewegung sicher, dass die Kernenergie eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielt.
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„Mit dem Atomausstieg kommen Sie mehr von den Klimazielen weg als dorthin“
Anna Veronika Wendland ist eine dieser neuen Befürworterinnen der Kernenergie. Nach jahrelanger Forschung in Kernkraftwerken ist der Technologiehistoriker überzeugt, dass der Austritt Deutschlands aus der Kernenergie voreilig und nicht gut durchdacht ist. In einem Interview mit FOCUS Online sagt sie: „Die Entscheidung zur Schließung der Kernkraftwerke wurde zum Zeitpunkt der Reaktorkatastrophe in Fukushima getroffen. Das war eine emotionale Situation, jetzt ist die Situation anders.“
Für Wendland ist eines sicher: Damit Deutschland seine Klimaziele erreichen kann, müssen die lokalen Kernkraftwerke bis mindestens 2030 weiter betrieben werden. Regenerative Energieformen wie Wind- oder Sonnenenergie sind derzeit nicht für die nationale Stromversorgung geeignet. „Mit dem Atomausstieg nehmen Sie den Klimazielen mehr ab als Sie bekommen“, sagt der Technologiehistoriker. Grundsätzlich ist sie nicht gegen erneuerbare Energiequellen. Derzeit fehlte jedoch die dringend benötigte Langzeitspeicherung für wetterabhängige Wind- und Sonnenenergie. Es ist nicht absehbar, dass sie bald verfügbar sein werden.
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„Erneuerbare Energien haben den Ruf, unauffällig zu sein“
„Atomkraft ist sicher, zuverlässig, vorhersehbar und CO2-arm. In der Dunkelheit und Ruhe benötigen sie dringend erneuerbare Energie als Backup. Wenn Atomkraft fehlt, rutscht Kohlekraft ins Leere und nach dem Ausstieg aus Kohle, insbesondere Erdgas.“ „sagt Wendland. Aufgrund ihrer hohen CO2-Emissionen sind diese Energieformen jedoch viel umweltschädlicher als ihr atomares Äquivalent. „Anstatt die Kernkraftwerke mit der gleichen Kapazität vom Netz zu nehmen, würde dies eine jährliche CO2-Einsparung von 55 bis 76 Millionen Tonnen bedeuten“, erklärt der Technologiehistoriker. Denn eines ist klar: Während die Kernkraftwerke in Deutschland 2022 geschlossen werden sollen, läuft das Gegenstück zur Kohle bis 2038.
Andere Aspekte sprechen auch für den 54-jährigen Befürworter, an der Kernenergie festzuhalten. „Regenerative Energien haben den Ruf, sanft, ruhig und unauffällig zu sein, während die meisten Menschen die Kernenergie mit der Gefahr von Strahlung und Reaktorkatastrophen in Verbindung bringen“, sagt sie. Anscheinend ein Missverständnis: Laut Technologiehistoriker würde das Netz für erneuerbare Energien deutlich mehr Platz beanspruchen als Kernkraftwerke.
„Allein das Kernkraftwerk Isar-2 erzeugte 2019 12 Terawattstunden Strom“, sagt Wendland. In Zahlen entspricht dies rund 30 Einheiten des größten deutschen Windparks Holtriem, also rund 3.300 Turbinen. Laut dem 54-Jährigen ist die biologische Vielfalt auch durch den enormen Platzbedarf bedroht. „Ich bin nicht wirklich gegen den klugen Einsatz erneuerbarer Energiequellen, aber bei solchen Verhältnissen kann man sich Sorgen um die Erhaltung machen“, erklärt sie.
Ihrer Meinung nach ist die Forscherin nicht allein. Einer der prominentesten Befürworter der These, dass Kernenergie das Klima retten kann, ist Microsoft-Gründer Bill Gates. Der Milliardär schrieb 2018 in einem Brief an seine Mitarbeiter: „Atomkraft ist ideal zur Bekämpfung des Klimawandels, da sie die einzige CO-freie, skalierbare Energiequelle ist, die 24 Stunden am Tag verfügbar ist.“ Die Tatsache, dass Gates sich für die Kernenergie einsetzt, sollte nicht ganz altruistisch sein: Mit seiner Firma „TerraPower“ erforscht er neue Arten von Kernreaktoren.
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Festhalten an der Kernenergie: teuer, gefährlich und eine Blockade für erneuerbare Energiequellen
Ist die Kernenergie unser Ticket für eine klimafreundliche Zukunft? Nein, sagen Kritiker der Öko-Modernisten. Sie liefern eine breite Palette von Argumenten: hohe Kosten, fehlende Repositories und Blockaden in der technologischen Entwicklung.
Fakt ist: Kernkraftwerke haben eine maximale Lebensdauer von rund 40 Jahren, die sechs verbleibenden deutschen Atomzentren sind zwischen 31 und 34 Jahre alt. Dies bedeutet, dass das Festhalten an den Kernkraftwerken kostspielige Reparaturen und Anpassungen erfordern würde. Ein Bericht des Massachusetts Institute of Technology (MIT) zeigt, dass die Kosten für Kernenergie ein grundlegendes Problem sind. Das beste Beispiel ist unser Nachbarland Frankreich: Laut einem Bericht von „Welt“ Der zuständige Reaktorbetreiber EDF (Electricité de France) schätzte die Renovierungskosten der 58 dortigen Reaktoren auf rund 50 Milliarden Euro.
Und auch die Frage: Was tun mit Atommüll? ist noch nicht ausreichend aufgeklärt. Das Bundesamt für Endlagerung prognostiziert bis 2080 rund 10.500 Tonnen radioaktiven Abfall, was laut „Quarks“ rund 27.000 Kubikmeter entspricht. Darüber hinaus würden 300.000 Kubikmeter Abfall schwach oder von mittlerer Intensität ausstrahlen. Auch wenn der Abfall laut Wendland „kompakt, bewacht und gut gelagert“ ist, gibt es derzeit kein Lager. Radioaktive Strahlung stellt weiterhin ein Risiko für Umwelt und Gesundheit dar.
Dies wirft einen weiteren wichtigen Kritikpunkt an der These „Kernenergie für das Klima“ auf. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer 2017 veröffentlichten Studie. Die Studie untersucht die Konsequenzen von Investitionen in die Kernenergie. Der Bericht der Forscher argumentiert, dass es nicht nur unnötig, sondern auch kontraproduktiv ist, sich auf die Kernenergie zu verlassen, um die globale Erwärmung zu stoppen. Zum Teil, weil es „die Entwicklung anderer, billigerer Energieformen behindert“. Das Institut empfiehlt, Forschungs- und Entwicklungsressourcen und internationale finanzielle Unterstützung in erneuerbare Energiequellen oder Speichertechnologien zu investieren, anstatt auf dem Überleben der Kernkraftwerke zu bestehen.
Wendland war anti-nuklear: „Ich kenne beide Seiten der Lücke“
Wendland kann die Gegner der Kernenergie verstehen. Sie war nicht immer für die Kernenergie, ganz im Gegenteil. In den 1980er Jahren ging sie gegen die Kernenergie auf die Straße. „Ich kenne beide Seiten der Lücke“, sagt sie. Die Meinung der 54-Jährigen hat sich jedoch aufgrund ihrer Forschungen in verschiedenen Kernkraftwerken geändert. „Die hoch entwickelte Sicherheitskultur und die strenge Überwachung dort haben mich überzeugt. Es ist die einzige Form der Stromerzeugung, bei der die Abfälle vor Ort vorübergehend gelagert, gezählt und gewogen werden“, sagt der Wissenschaftler.
Letztendlich ist für Wendland „eine nüchterne Einschätzung von Chancen und Risiken“ von zentraler Bedeutung. Sie befürwortet eine hybride Lösung: „Im Kampf gegen die Klimakrise können Kernkraftwerke die Grundlage für die Versorgung bilden und als Reserve für erneuerbare Energiequellen dienen“, sagt sie. Für den Technologiehistoriker ist die Klimakrise letztendlich gefährlicher als die Kernenergie.
Die Internationale Energieagentur (IEA) hat untersucht, wie viel Kernenergie tatsächlich zur Rettung des Klimas beitragen kann. Um die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, müssten die globalen Emissionen von etwa 37 Milliarden Tonnen im Jahr 2050 auf weniger als 5 Milliarden Tonnen sinken. Die Kernenergie würde nur fünf Prozent beitragen. „Selbst dafür müssten rund 1.000 Kernkraftwerke gebaut werden“, sagte Manfred Fischedick vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie. „Süddeutsche Zeitung“ 2019.
Der Einsatz von Kernenergie im Kampf gegen die globale Erwärmung bleibt vor allem eines: höchst umstritten.
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