Neuinfektionen, 7-Tage-Inzidenz und R-Wert: Die Zahlen der Coronavirus-Epidemien zeigen einige besorgniserregende Trends kurz vor dem Herbst. Trotzdem ist die Startposition anders als im Frühjahr. Wo stehen wir heute und warum sehen einige Beobachter dringende Maßnahmen? Eine Datenanalyse.
Einige fürchten eine zweite Welle. Andere glauben, dass es das schon lange gibt. Es steht außer Frage, dass die aktuellen Entwicklungen der Coronavirus-Epidemie in Deutschland Experten und den Handlungsdruck der Politiker beunruhigen.
Ein Blick auf die Daten zeigt warum Robert Koch Institut (RKI) fordert erneut mehr Vorsicht und einige Staats- und Regierungschefs überdenken ihre Strategie.
1. Die Zahl der Neuinfektionen nimmt zu
Nach Wochen, in denen nur wenige scheinbar leicht zu bekämpfende Ausbrüche Schlagzeilen machten, stieg die Zahl der registrierten Fälle stark an COVID-19Die Krankheiten haben seit Mitte Juli erheblich zugenommen. Die Gesundheitsbehörden berichteten am 21. August mehr als 2.000 neue Coronavirus-Infektionen an einem Tag.
Der Informationswert solcher Spitzenwerte ist begrenzt, da die verspäteten Anmeldungen an den Wochenenden im Laufe der Woche zunehmen. Wenn Sie jedoch den Durchschnitt der letzten sieben Tage berechnen, zeigt die Kurve immer noch einen anhaltenden Aufwärtstrend.
Das RKI führt den Anstieg unter anderem auf mehr Infektionen auf Partys in Familie und Freunden sowie im Urlaub zurück.
2. Mehr Tests – und mehr positive Ergebnisse
Die Anzahl der durchgeführten Koronatests spielt ebenfalls eine Rolle, denn je mehr getestet werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass Fälle in der Statistik registriert werden. Letztendlich müssen wir jedoch immer davon ausgehen, dass es irgendwann während der Epidemie mehr Infektionen gab, als offiziell gezählt wurden. Die Frage ist nur, wie hoch die Anzahl der nicht gemeldeten Fälle ist.
Deutschland testet viel. Zuletzt war knapp ein Prozent der durchgeführten Labortests positiv. Dies ist ein starker Anstieg im Vergleich zum Juli und ein Zeichen dafür, dass die Anzahl der Infektionen tatsächlich objektiv zunimmt.
Die positive Rate für die PCR-Tests hat kürzlich zugenommen. (Quelle: t-online.de/Statista)
Besonders besorgniserregend: Bei den Serientests mit Personen mit relativ geringer Infektionswahrscheinlichkeit, die keine Symptome zeigen und auch keinen nachgewiesenen Risikokontakt haben, würde man tatsächlich davon ausgehen, dass der Anteil positiver Befunde geringer ist. Das Gegenteil ist der Fall.
3. Die Testkapazitäten werden in Kürze erschöpft sein
Deutschland liegt derzeit knapp hinter Italien, wo ein Prozent der Ergebnisse positiv ist. Nach Schätzungen der WHO ist eine positive Rate im niedrigen einstelligen Bereich ein Hinweis darauf, dass ein Land die Kontrolle über die Epidemie hat.
Trotz dieses „Erfolgs“ ist die aktuelle Teststrategie umstritten. Die Gesundheitsminister haben nun zugestimmt, die kostenlosen obligatorischen Tests für zurückkehrende Reisende einzustellen. Der Grund: Die Labore stoßen an ihre Grenzen. Die Kapazitäten werden jetzt an anderer Stelle dringender benötigt, beispielsweise für die Umwelt von Risikopatienten und in der Krankenpflege. Mit anderen Worten: Es gibt genug verdächtige Fälle und Testgründe auch ohne Partytouristen, so dass wieder mehr Priorität eingeräumt werden muss.
Nutzung der Prüflabore pro Kalenderwoche. Quelle: RKI, ALM eV (Quelle: t-online.de/Datawrapper)
Zum zweiten Mal in der Pandemie haben wir festgestellt, dass Sie sich zuerst gründlich testen müssen. Je mehr Fälle vorliegen, desto mehr Testkapazität ist erforderlich, um den Virus erneut zu erfassen. Die Anzahl der absoluten Fälle ist Teil der Gleichung, nicht das Ergebnis.
4. Anstelle einzelner Hotspots gibt es überall Ausbrüche
Es gibt auch einen besorgniserregenden Trend bei der geografischen Verteilung der Fälle. Anstelle einzelner Hotspots gibt es jetzt viele Ausbrüche gleichzeitig. Der Vergleich der sogenannten 7-Tage-Inzidenz im Juli und August macht den Unterschied deutlich.
Im August hatten viele Bezirke innerhalb einer Woche mehr Fälle als im Juli. Quelle: RKI (Quelle: t-online.de/Datawrapper)
Mitte Juli gab es mehr als 100 Distrikte, in denen eine Woche lang keine neuen Covid-19-Fälle aufgetreten waren. Laut dem aktuellen Lagebericht ist diese Zahl auf nur 15 gesunken. Andererseits gibt es jetzt 16 Distrikte, die die kritische Schwelle von 25 Neuinfektionen überschreiten.
Die gute Nachricht ist, dass die Situation weitgehend beherrschbar erscheint. 126 ländliche Gebiete melden eine immer noch geringe Inzidenz von weniger als fünf Fällen pro 100.000 Einwohner. Alles in allem trägt es Früchte, dass viele Menschen ihre sozialen Kontakte reduziert haben, Großveranstaltungen verboten sind und (illegale) Feiern die Ausnahme bleiben.
5. Das Altersprofil hat sich geändert
Die heute mit Covid-19 diagnostizierten Personen sind erheblich jünger als die Patienten, die ab dem Frühjahr positiv getestet wurden. Unter 30-Jährige machen mittlerweile etwa die Hälfte aller registrierten Neuinfektionen aus, obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung nur noch 30 Prozent beträgt.
Dies liegt nicht nur daran, dass die milden und asymptomatischen Fälle bei Jugendlichen im Verlauf der umfassenden Teststrategie häufiger erkannt werden. Die verringerten Krankenhauseinweisungen und Sterblichkeitsraten deuten darauf hin, dass junge Menschen tatsächlich krank werden – vielleicht weil sie nachlässiger sind.
Andererseits können die älteren Risikogruppen derzeit offenbar erfolgreich vor Infektionen geschützt werden. Infolgedessen nimmt die Anzahl der harten Kurse ab. Trotz der zunehmenden Anzahl von Fällen ist in den Krankenhäusern und Intensivstationen noch Platz. Nach einem vorübergehenden Höhepunkt Ende Mai hat sich der Anteil der Verstorbenen bei rund 4 Prozent stabilisiert.
Aber je mehr Fälle es gibt, desto schwieriger ist es, das Eindringen des Virus in Risikogruppen zu verhindern, warnt der RKI. Darüber hinaus werden die Schulferien in den letzten Bundesländern bald enden. Wie sich dies auf die Fallstatistik auswirkt, bleibt abzuwarten. Aber die Beweise wachsen: Kinder sind genauso ansteckend wie Erwachsene. Das ist bisher einfach nicht aufgefallen.
6. Der R-Wert ist seit Wochen nicht unter 1 gefallen
Flache die Kurve, halte die Kurve flach. Das war das Motto, das im April und Mai veröffentlicht wurde. Die Bundeskanzlerin berechnete eindrucksvoll, dass das Gesundheitssystem bereits im Sommer an seine Grenzen stoßen würde, wenn der R-Wert über 1 bleiben würde und sich die Zahl der Infektionen weiterhin exponentiell entwickeln würde.
Zum Glück ist das nicht passiert. Aber im Juli und August war der R-Wert seit Wochen nicht mehr unter 1. Sollten Sie vor nicht allzu langer Zeit wieder an der Zugschnur ziehen?
Der R-Wert war im Juli und August einige Wochen länger als 1. Quelle: RKI (Quelle: t-online.de/Datawrapper)
Ein R-Wert> 1 bedeutet: Im Durchschnitt infiziert eine infizierte Person etwas mehr als eine Person – die Anzahl der Fälle nimmt zu. Ein R-Wert <1 bedeutet: Der Virus wird zurückgedrängt.
Mit R = 1,2 werden 1.000 Fälle innerhalb einer Generationszeit zu 1.200 Fällen (derzeit angenommen vier Tage). Wenn die Rate gleich bleiben würde, würden wir theoretisch in wenigen Tagen bis Oktober 10.000 neue Fälle haben. Es wird wahrscheinlich nicht dazu kommen. Schließlich ist der R-Wert keine Konstante und reagiert empfindlich auf Verhaltensänderungen in der Bevölkerung. Selbst ein kurzlebiger lokal begrenzter Kontaktblock kann den Trend umkehren. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Gesamtinzidenz gering ist. Die Anzahl der Neuinfektionen ist hier der entscheidende Kontext.
Wie halten wir die Situation unter Kontrolle?
Es besteht die Hoffnung, dass die „zweite Welle“ viel besser kontrolliert wird und dass es möglich sein wird, die Epidemie langfristig zu kontrollieren. Im Vergleich zum Frühjahr – und mit anderen Ländern – ist die Startposition in Deutschland derzeit günstig.
- Die Zahlen steigen, aber sie steigen viel langsamer als im März.
- Dank der höheren Testkapazitäten haben wir wahrscheinlich ein viel genaueres Bild der heutigen Situation.
- Wir wissen mehr über das Virus und wie es übertragen wird. Die Rolle von Aerosole und weit verbreitete Ereignisse sind inzwischen gut erforscht und es ist klar, dass die größte Gefahr von geschlossenen, schlecht belüfteten Räumen und Menschenmengen ausgeht.
- Viele Menschen passen ihr Verhalten an die Situation an und beschränken sich freiwillig und halten sich an die „AHA-Regeln“ (Abstand, Hygiene, Maske für den täglichen Gebrauch).
Es zeigt sich aber auch, dass sich die Politik nicht ausschließlich auf Freiwilligkeit verlassen kann. Die Beschwerden über Verstöße gegen Parteiverbote und eine allgemeine Fahrlässigkeit gemäß den Verzichtsregeln und Maskenanforderung erhöhen, ansteigen. Einige Länder reagieren mit Schecks und Geldstrafen.
Schulen und Gesundheitsbehörden brauchen Hilfe
In vielen Lebens- und Arbeitssituationen sind jedoch freiwilliger Verzicht und Distanzierung keine Option. Das RKI hat eine Reihe schwerwiegender Ausbrüche mit den Bedingungen in landwirtschaftlichen Betrieben und Fleischverarbeitungsbetrieben sowie in Gemeinschaftsunterkünften und Flüchtlingsheimen in Verbindung gebracht. Auch die Bewohner und Angestellten von Krankenhäusern und Pflegeheimen haben ein höheres Infektionsrisiko. Hier werden Arbeitgeber und Staat zu einem angemessenen Schutz aufgefordert – und die Erfahrungsberichte der Betroffenen deuten darauf hin, dass noch viel Raum für Verbesserungen besteht.
An vielen Orten fehlt es auch an einem funktionierenden Konzept für Schulen, wie der Unterricht unter Koronabedingungen stattfinden kann. Mit einem heißen Brief an die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen beschwerten sich die Schulleiter kürzlich über einen Mangel an Reinigungspersonal, Platzmangel und nicht zu öffnenden Fenstern. Viele Gesundheitsbehörden sind ebenfalls alarmierend und kaum in der Lage, alle Fälle zu identifizieren und zu isolieren. Auch hier macht sich die verzögerte Digitalisierung im Bereich der öffentlichen Gesundheit und des Schulsystems bemerkbar.
„Der Hammer und der Tanz“: Jetzt tanzen wir
Es ist Zeit, sich besser auf den Herbst vorzubereiten. Bund und Länder wollen sich gemeinsam anpassen. Die Vorstellungen darüber, was in Zukunft verboten und erlaubt werden sollte und welche Maßnahmen erweitert oder zurückgefahren werden sollten, sind jedoch manchmal sehr unterschiedlich.
Laut dem Autor und Datenanalysten Tomas Pueyo beschreibt er die Strategie der erfolgreichsten Länder bei der Bekämpfung der Pandemie als „Der Hammer und der Tanz“. Der gleichnamige Artikel, der erstmals im März auf der Online-Plattform Medium veröffentlicht wurde, wurde in viele Sprachen übersetzt und erregte auch die Aufmerksamkeit der Kanzlei.
Dementsprechend werden auf die notwendigen harten Schnitte zu Beginn der Pandemie mehrere Phasen folgen, in denen die Situation abwechselnd gelockert und verschärft wird. Die betroffenen Länder lernen allmählich, mit der Pandemie umzugehen.
In Deutschland sorgt der Föderalismus jedoch auf der Tanzfläche für viel Aufsehen. Und während einige ihre Tanzbewegungen sorgfältig üben, möchten andere den Hammer sofort beiseite legen.
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