Was ist hier los? Das Video zu „On“ das Single von ihrem letzten Album war ein komprimierter Fantasy-Blockbuster, der Referenzen von „Herr der Ringe“ bis „Der König der Löwen“ kombinierte. Die Mitglieder von BTS rannten auf riesigen Bergen herum, gingen über Schlachtfelder und standen vor Noahs verrosteter Arche. Und nun, in dem am Freitag veröffentlichten Clip Über die Lead-Single ihres neuen Albums „BE“ putzen sich die Südkoreaner die Zähne, essen Pizza, machen einen Ausflug ins Auto und spielen auf dem Sofa.
Eine Pandemie hinterlässt keine Spuren in der derzeit wahrscheinlich größten Band der Welt. Die Welt, in der sie letzten Februar ihr Album „Map Of The Soul: 7“ veröffentlichten, war noch eine andere. Darin war beispielsweise eine weltweite Stadiontour geplant, die die K-Pop-Gruppe im Sommer nach Berlin geführt hätte. Natürlich wurde es abgesagt.
Dann gab BTS im April bekannt, dass sie an einem neuen Album arbeiten. Sie dokumentierten den Erstellungsprozess in Live-Streams auf YouTube. Dort konnte man sie zum Beispiel sehen beim gemeinsamen essen diskutierte das Konzept für das neue Musikvideo. Das Erfolgsrezept der Gruppe beinhaltet enge Beziehungen zu ihren Fans, bekannt als „Army“, mit denen sie in sozialen Medien interagieren.
Dazwischen gab es in der üblichen BTS-Art einige Aufzeichnungen. Im Spätsommer landeten sie als erste südkoreanische Band mit dem Disco-Pop-Song „Dynamite“ auf Platz eins der US-Single-Charts. Das Video wurde innerhalb der ersten 24 Stunden über 100 Millionen Mal auf YouTube angeklickt, mehr als jeder andere Clip auf der Plattform zuvor. Und im Oktober sahen sie fast eine Million Menschen aus 191 Ländern bei zwei Online-Konzerten.
Also jetzt das neue Album »BE«, das im Grunde überhaupt keines ist. Denn neben dem Hit „Dynamite“ und einem kurzen Ski, in dem BTS über den Erfolg seiner Charts spricht, gibt es in 28 Minuten Spielzeit nur sechs neue Songs. Trotzdem ist es abwechslungsreich: Wohlfühl-Pop, Balladen, Retro-Hip-Hop und Disco.
Für eine lange Zeit ist die Platte jedoch für K-Pop-Verhältnisse geradezu puristisch. Hier ein Orgelteppich, dort Klavierakkorde und ein paar Trommeln: Produktionsende. Dies sind Stücke, die nicht so aussehen, als wären sie für das große Stadion geschrieben worden, sondern für die Quarantäne-Arena zu Hause und die widersprüchlichen Stimmungen beim Herunterfahren. Sie können zu den neuen Liedern tanzen, traurig sein und gleichzeitig Hoffnung gewinnen.
Zum Beispiel mit dem Album-Opener »Life Goes On«, in dem BTS das Corona-Jahr rekapituliert: Wie die Welt plötzlich stehen blieb und gesichtslose Tage vergingen. Und wie bleibt die Hoffnung, dass eine bessere Zeit kommt. Das Lied klingt wie ein sanftes Klopfen auf die Schulter sich anfühlen sollte: Es wird gut. In der melancholischen Ballade »Blue & Grey« beschreiben sie innere Leere und Einsamkeit gegenüber Akustikgitarre und Streichern. „Ich will einfach nur glücklicher sein“, singen Jin, V und Jungkook abwechselnd.
Nach dieser frühen Katharsis geht es ziemlich lebhaft weiter. Der Song „Telepathy“ knüpft an die Funkyess und den Erfolg von „Dynamite“ mit Bass-Groove, Cowbells und sprudelnden Synth-Sounds an, bleibt aber angenehm entspannt. Nach ein bisschen Old-School-Rap („Dis-Easy“), formelhaftem EDM („Stay“), das wie eine B-Seite aus der EP-Serie „Love Yourself“ der Band klingt und natürlich „Dynamite“ ist, ist es vorbei nochmal. Auf der einen Seite.
Auf der anderen Seite bietet BTS mit »BE« knapp eine halbe Stunde, mit der Sie sich kurz vom Alltag abkoppeln können. Viele Fans in der Armee von Millionen der „Armee“ betonen, dass die Boyband ihnen bereits in schwierigen Zeiten geholfen hat. In diesem Sinne bleibt die Gruppe bei sich selbst in ihrer Pandemie. Sie geben Trost. Und davon kann man nie genug haben.