Mehr Brände, Hitzewellen und Niederschläge – viele Vorhersagen aus der Klimaforschung sind Realität geworden. Jetzt könnte auch die seit langem befürchtete Schwächung des Golfstromsystems stattfinden, mit Konsequenzen für Europa.
In Macapá im äußersten Norden Brasiliens, direkt am Äquator, ist die Macht des Amazonas am größten. Bisher hat der Fluss Hunderte von Kilometern Wasser aus zahlreichen Nebenflüssen entnommen und mehrere Meilen östlich der Hauptstadt des Bundesstaates Amapá in den Atlantik eingeleitet.
Aber selbst der wasserreichste Fluss der Erde kann an seinem Endpunkt nicht einmal mit den großen Kräften des Meeres konkurrieren.
Klimaforscher warnen seit den 1980er Jahren vor einer Verlangsamung
Das Golfstrom-System bewegt fast 20 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde, fast das Hundertfache des Amazonasflusses. Warmes Oberflächenwasser fließt nach Norden und kehrt als kalte, tiefe Strömung nach Süden zurück.
Auf diese Weise ermöglicht es einen gigantischen Wärmetransport mit einer Leistung von mehr als einer Million Gigawatt, fast dem Hundertfachen des Energieverbrauchs der Menschheit. Diese Wärme wird im Nordatlantik an die Luft abgegeben und wirkt sich nachhaltig auf unser Klima aus.
Klimaforscher warnen jedoch seit den 1980er Jahren vor einer Abschwächung oder sogar Austrocknung dieses Stroms infolge der globalen Erwärmung. „Unangenehme Überraschungen im Gewächshaus?“ war die Schlagzeile des berühmten amerikanischen Ozeanologen Wallace Broecker im Jahr 1987 Artikel in der Zeitschrift „Nature“ zu.
Sogar Hollywood hat das Thema 2004 in den Film „The Day After Tomorrow“ des deutschen Regisseurs Roland Emmerich aufgenommen. Es gab jedoch keine Messdaten, die eine kontinuierliche Abschwächung zeigten.
Es gibt erst seit 2004 eine kontinuierliche Überwachung bei 26 ° N im Atlantik (RAPID). Obwohl die Daten eine Schwächung des Durchflusssystems zeigen, ist die Messreihe immer noch zu kurz, um einen möglichen Klimatrend von natürlichen Schwankungen zu unterscheiden. Für die längerfristige Entwicklung des Golfstromsystems müssen wir daher auf indirekte Beweise zurückgreifen.
Regionaler Kühleffekt beim Klimawandel
Eine lange Verzögerung sollte zu einer Abkühlung im Nordatlantik führen. Klimamodelle haben einen solchen regionalen Temperatureffekt angesichts der globalen Erwärmung lange vorhergesagt. In der Tat zeigt die Analyse der Meerestemperaturdaten, dass der Nordatlantik die einzige Region der Welt ist, die der globalen Erwärmung widersteht und seit dem 19. Jahrhundert noch kühler geworden ist.
Darüber hinaus ist vor der nordamerikanischen Küste eine besonders starke Erwärmung zu beobachten, die nach Modellsimulationen zu einem charakteristischen „Fingerabdruck“ von einem führt Schwächung der Wellenstromzirkulation gehört.
Dieser Fingerabdruck wird als wichtiger Beweis angesehen, und dies ist einer der Gründe, warum das Zwischenstaatliche Gremium für Klimawandel (IPCC) Sonderbericht über die Ozeane fanden zum ersten Mal, dass Beobachtungsdaten „darauf hinweisen, dass die Umkehrzirkulation des Atlantischen Ozeans geschwächt ist“.
Zwei Studien liefern unabhängige Beweise
Zwei neue Studien liefern jetzt zusätzliche, völlig unabhängige Beweise. Erschien im August eine Studie von Christopher Piecuch von der Woods Hole Oceanographic Institution über den Florida Stream – den Teil des Gulf Stream-Systems entlang der Küste Floridas.
Zwar sind erst seit 1982 kontinuierliche Durchflussmessungen verfügbar. Piecuch konnte jedoch die Stärke der Strömung in Florida in den letzten 110 Jahren rekonstruieren, indem er den Meeresspiegelunterschied zwischen beiden Seiten der Strömung maß.
Zu diesem Zweck verwendete er 46 Nivellierstationen in Florida und der Karibik sowie ein einfaches physikalisches Prinzip: Die Coriolis-Kraft lenkt die Strömungen auf der Nordhalbkugel nach rechts ab, sodass das Wasser auf der rechten Seite einer Strömung höher ist als auf der linken Seite.
Je stärker die Strömung ist, desto größer ist der Meeresspiegelunterschied. Ein Vergleich mit den Messungen seit 1982 zeigt, dass die Methode zuverlässig funktioniert.
Der Salzgehalt zeigt den Forschern, dass der Golfstrom schwächer wird
Das Ergebnis: Der Florida Current hat seit 1909 viel an Stärke verloren und ist in den letzten zwei Jahrzehnten wahrscheinlich schwächer als je zuvor. Piecuchs Berechnungen zeigen auch, dass die damit verbundene Abschwächung des Wärmetransports ausreicht, um die kalte Blase im Nordatlantik zu erklären.
Eine weitere Studie von Forschern der Peking University und der Ohio State University erschien am Montag in „Nature Climate Change“. Zum ersten Mal werden Daten von außerhalb des Nordatlantiks als Indikatoren verwendet. Modellsimulationen zeigen, dass eine Schwächung der Golfstromzirkulation zu einer Salzansammlung im subtropischen Südatlantik führt.
Dies liegt an der Tatsache, dass in diesem Gebiet die starke Verdunstung den Salzgehalt ständig erhöht, während der obere Zweig der Ozeanzirkulation das Salzwasser nach Norden ableitet und von Süden her einleitet. Wenn dieser Strom schwächer wird, wird das Wasser in dieser Region salziger.
Genau das zeigen die Messdaten nach Computersimulationen. Die Autoren sprechen von einem „Salzgehalt-Fingerabdruck“ der Schwächung der Umkehrzirkulation des Atlantiks.
Kalte Blase beeinflusst das Wetter in Europa
Zusätzlich zu diesen ozeanografischen Messungen zeigen eine Reihe von Studien mit Sedimentdaten, dass die Zirkulation des Golfstroms jetzt schwächer ist als in mindestens einem Jahrtausend.
Die Strömungsänderungen wirken sich auch auf uns aus Europaweil die „kalte Blase“ im Atlantik unser Wetter beeinflusst. Es klingt paradox, wenn man an das Schock-Frost-Szenario des Hollywood-Blockbusters „The Day After Tomorrow“ denkt, aber Britische Forscher fanden es herausdass sich der Jetstream in der Atmosphäre im Sommer gerne nach Süden um die kalte Blase krümmt – dies bringt dann warme Winde aus dem Südwesten nach Europa und führt hierher Hitzewellenwie im Sommer 2015.
Eine andere Studie fanden einen Rückgang der Sommerniederschläge in Nordeuropa und stärkere Winterstürme. Wie die weiteren Konsequenzen aussehen, ist Gegenstand laufender Forschung.
Aber eines stellt sich heraus Klimamodelle der neuesten Generation (CMIP6): Wenn wir Erderwärmung Die Zirkulation des Golfstroms wird sich weiter abschwächen – bis zum Jahr 2100 um 34 bis 45 Prozent. Dies könnte uns gefährlich nahe an den Wendepunkt bringen, an dem die Strömung instabil wird.
© DER SPIEGEL
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